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Anhörung im Plenarsaal
03
September
2025

Wie lernt man Demokratie?

Bei der Enquetekommission Jugendbeteiligung gaben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Einblicke in ihre Forschung zur Partizipation.

Wie Kinder und Jugendliche Entscheidungen treffen, was sie motiviert und antreibt und wie sich eine Senkung des Wahlalters auswirken würde, haben Forscherinnen und Forscher in der Enquetekommission „Demokratie und Teilhabe leben – Beteiligung junger Menschen stärken“ des Hessischen Landtages erörtert. Bei der Anhörung in der 8. Sitzung am 3. September eröffneten die Wissenschaftler verschiedene Perspektiven auf das Thema Partizipation.

Vor welchen Herausforderungen Kinder stehen, wenn sie Entscheidungen treffen, untersuchte die Experimentalpsychologin Dr. Stefanie Lindow von der Universität Erfurt. Um gute Entscheidungen zu fällen, seien Informationen über die Entscheidungsalternativen und die Gewichtung der Auswahlkriterien notwendig. Die Informationssuche sei dabei für Kinder schwierig, so die Entscheidungsforscherin. „Doch Kinder müssen sich kein komplettes Gesamtbild aufbauen, um eine Entscheidung zu treffen“, so die Entscheidungsforscherin. Lernen und entscheiden sei eng miteinander verbunden. Aus Lindows Sicht ist klar: „Partizipation hilft langfristig, das Entscheiden zu üben“. 

Rückmeldung wichtig für Jugendliche

Prof. Rolf Ahlrichs von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg ging der Frage nach, wie ein Mensch zum Demokraten wird. „Wir lernen Demokratie in der Demokratie“, sagte der Sozialpädagoge. Die Formen der Partizipation seien vielfältig. Aus Forschungsprojekten zu den „Werkstätten der Demokratie“ in der Jugendverbandsarbeit und auf Ebene der Landkreise kommt Ahlrichs zu dem Schluss, dass das Nachdenken über Demokratie stärker verankert werden müsse. Jugendverbandsarbeit motiviere Jugendliche zu politischer Aktivität. „Doch Jugendbeteiligung ist nichts Isoliertes, sondern braucht eine organisatorische Anbindung, ein Budget und Personal“. In seiner Forschung habe sich gezeigt, dass eine schnelle Rückmeldung Jugendlichen wichtig sei. 

Nach Auffassung von Dr. Hans-Joachim Maaz, Vorsitzender des Choriner Instituts für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention (CIT), ist Partizipation ein Grundbedürfnis, das jedoch eine gesicherte Persönlichkeitsstruktur voraussetzt. Der Psychiater, Psychoanalytiker und Autor vertrat die These, dass Menschen Selbstwirksamkeit durch Partizipation erfahren, wenn sie sich mitteilen können, ohne bewertet zu werden. 

„Jugendbeteiligung ist profitabel für die Gesellschaft“

Jugendliche mitreden zu lassen, ist aus Sicht von Prof. Karina Weichold fundamental. „So fördert man eine aktive Bürgerschaft, und so entstehen gute Entscheidungen“. Die Entwicklungspsychologin, die an der Universität Jena den Bereich Jugendforschung leitet, verwies auf die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie, wonach die meisten Jugendlichen politisch interessiert seien und großes Vertrauen in die Demokratie hätten. Sie riet dazu, Jugendliche auch längerfristig in Prozesse einzubinden. Eine aktive, strukturierte Freizeitgestaltung ist für Weichold bedeutsam für eine positive Entwicklung von Jugendlichen: „Es ist gut, wenn Jugendliche das Gefühl haben, einen wichtigen Beitrag zu leisten und auch eigene Ziele zu erreichen“. So lautet ihr Fazit: „Eine Beteiligung von Kindern ist profitabel für die Gesellschaft“. 

Erkenntnisse zu einer Senkung des Wahlalters und den Auswirkungen steuerte Prof. Sigrid Roßteutscher bei. Die Soziologin der Goethe-Universität Frankfurt und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung plädiert dafür, Jugendliche möglichst schon ab 14 oder 16 Jahren wählen zu lassen. Erstmals an einer Wahl teilzunehmen, sei besonders für niedrig Gebildete eine Hürde, die es zu überspringen gelte. „Wer einmal gewählt hat, geht wahrscheinlich auch zur nächsten Wahl. Und wer dreimal gewählt hat, bleibt Wähler“, fasste die Wahlforscherin zusammen. Die Hürde der ersten Wahl mit 18 Jahren in eine Lebensphase zu legen, in der für viele Jugendliche andere Dinge wichtiger seien, ist aus ihrer Sicht nicht vorteilhaft für die Demokratie. Junge Menschen könnten kein Wahlergebnis verändern, „aber sie werden gehört“, so Roßteutscher. Das Recht zu wählen, verändere die Jugendlichen. „Wenn sie Rechte haben, verhalten sich Menschen anders“. In der anschließenden Diskussion gingen die Forscherinnen und Forscher noch auf Fragen der Abgeordneten zu den empirisch-analytischen Grundlagen der Sozialpsychologie des Beteiligungsbedürfnisses ein.

Zur Enquetekommission Jugendbeteiligung

Seit Oktober 2024 untersucht die 16-köpfige Enquetekommission unter dem Vorsitz von Cirsten Kunz-Strueder (SPD), wie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Hessen jetzt aussieht und wie sie weiter verbessert werden kann. Unabhängige Sachverständige beraten den Ausschuss. Als Mitglieder sind ebenfalls der Hessische Landkreistag, der Hessische Städtetag, der Hessische Städte- und Gemeindebund und die Landesbeauftragte für Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Teil der Enquetekommission. Ein wichtiger Bestandteil der Kommission ist auch die direkte Einbindung von Jugendlichen. In vorangegangen Sitzungen erläuterten Sachverständige bereits die völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen.